Am Puls der Zeit - 30 Jahre Forum für Zeitfragen
Am 7. September 2023 feierte das Forum für Zeitfragen seinen dreissigsten Geburtstag. Mit ihrer Eröffnungsrede fand die ehemalige Leitungskommissionspräsidentin Barbara Stuwe nicht nur die treffenden Worte, sondern bescherte den Hörer:innen, insbesondere auch dem Team ein grosses Geschenk. Doch lesen Sie selbst ...
Liebe Gäste, Freundinnen und Freunde des Forums für Zeitfragen
«Trau keinem über 30»
Viele werden diesen Sponti-Spruch noch kennen. Etliche unter uns waren noch nicht in dem verdächtigen Alter, als dieser Spruch ab 1968 die Runde machte.
Mache waren noch nicht einmal geboren.
«Trau keinem über 30» - das wollte revolutionär und aufmüpfig wirken, war aber eher sinnfrei und albern und bezeugte vor allem gute Laune und weniger einen Erkenntnisgewinn.
Das ist lange her, aber auch heute steht die Dreissig für viele im Verdacht, eine ungute Zäsur im Leben zu sein.
30 – da ist man nicht mehr jugendlich, es beginnt, noch mehr als mit der Volljährigkeit, der sogenannte Ernst des Lebens. Da hört der Spass auf. Da muss jeder und jede irgendwo angekommen sein: beruflich, in der Beziehung, im Leben.
«Dirty Thirty» , die dreckige 30, so heisst es heute über die Schwelle zum 30sten Lebensjahr und es klingt leider schon nicht mehr so gut gelaunt, eher etwas depressiv.
Wir wissen alle: das sind sowieso nur Zahlen und die sind kaum von Bedeutung. Und so las ich neulich in einer Umfrage unter Dreissigjährigen unter anderem die nüchterne Einschätzung: 30 ist wie 20, mit mehr Geld.
Ich wäre sehr froh, dem Forum für Zeitfragen dies heute am 30sten Geburtstag als frohe Botschaft verkünden zu dürfen: 30 ist wie 20, aber mit mehr Geld.
Das ist leider nicht der Fall.
Geldfragen, Finanzierungssorgen begleiten das Forum seit seinem Bestehen.
Hier, wie auch an anderen Orten unserer Kirche, musste immer knapp kalkuliert werden. Hier musste, mehr noch als an anderen Orten unserer Kirche, Sinn und Daseinsberechtigung immer neu begründet werden.
Das hat viel Kraft und Energie gekostet, aber eben auch enorm viel Kreativität und Ideenreichtum freigesetzt.
Der Anfang des Forums, sozusagen die Kinderstube, lag an der Maiengasse. Manche erinnern sich vielleicht.
Die Maiengasse – so zeigte sich schon bald, war für das angestrebte Ziel, dem Forum Forumscharakter zugeben, nicht wirklich geeignet. Es war eine hübsche Villa, aber doch recht privat, gediegen, weit entfernt von Marktatmosphäre.
Es fehlte Öffentlichkeit, ein Forum im Sinne von Markt brauchte andere Bedingungen.
Es folgte nach zähen Verhandlungen mit Kirchenrat und Synode der Umzug an den Leonhardskirchplatz.
Ein ganz grosses Plus war die direkte Nachbarschaft zur Kirche, diesem wunderbaren Sakralraum, der fortan quasi zum Forum gehörte.
Zu einem Programm, wie wir es bis heute kennen mit verschiedensten Veranstaltungen wie den Kunst- und Literaturbetrachtungen, den zahlreichen Vortragsreihen und Einzelvorträgen von namhaften Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, den vielen fruchtbaren Kooperationen mit befreundeten Institutionen, mit den Gemeinden, zu dieser Programmvielfalt war es dennoch ein weiter, manchmal holpriger Weg, strapaziös und doch immer wieder lohnend.
Umso mehr freue ich mich, was da alles gelungen ist seit dem Bestehen. Und das Forum ist sich in all diesen Jahren treu geblieben: in seiner Haltung, in der Gestaltung des Programms - inhaltlich und visuell -, in seiner kreativen Kraft und Unabhängigkeit.
Ich bin dankbar, dass ich hier immer wieder erleben konnte und bis heute kann, was es heisst: Theologie treiben, auch im Gespräch mit anderen Religionen.
Der Standort am Leonhardskirchplatz ist nicht geblieben. Seit 2017 – da war das Forum ungefähr Mitte 20 - ist das Forum im Zwinglihaus beheimatet.
Und um es in Abwandlung des obigen Zitates zu sagen: 30 ist wie 20, nur mit weniger Geld.
Aber sicher nicht mit weniger Ideen, nicht mit weniger Lust an Fragen, an den Zeitfragen.
Ich bewundere diesen Mut und die Ausdauer, gerade in einer Zeit der Antworten, die vor allem aus dem Silicon Valley kommen, bei den Fragen zu bleiben.
So hat mich z.B. sehr beeindruckt, wie das Forum zeitnah auf ein drängendes Phänomen reagiert hat, nämlich Verschwörungstheorien. Titel der Veranstaltung: einfache Antworten auf die Komplexität der Moderne. Ich danke Ruedi Spöndlin an dieser Stelle herzlich für die ausgezeichnete lesenswerte Zusammenfassung der Veranstaltung, für alle interessant, die nicht daran teilnehmen konnten.
Wir leben in einer Zeit der Antworten, z.T. generiert durch Algorithmen, die sich nach dem Verkaufswert der Meldungen richten.
In der Flut dieser Antworten vergessen viele oft die Fragen, die sie eigentlich hatten.
(abgedruckt mit freundlicher Genehmigung von B. Stuwe)